Gut vorbereitet flogen wir, Karl- Heinz Nöth (Spiesheim), Walter Robl (Ensheim) und meine Person, am 11. Januar zum Kilimajaro-Airport nach Tansania in Ostafrika, um von dort aus, sich den lang gehegten Wunsch zu erfüllen: Die Besteigung des größten freistehenden Berges der Erde, des 5.895 m hohen Kilimanjaro an der Grenze zwischen Tansania und Kenia.
Nach 11 Tagen Vortraining und Akklimatisation, unter anderem mit der recht schwierigen Besteigung des Mt. Meru, des fünfthöchsten Berges Afrikas (4.566 m), trat die "Kili-Bezwingung" ab dem 19. Januar in ihre konkrete Umsetzungsphase.
Auf der anspruchsvollen aber landschaftlich wunderschönen "Machame-Route" beginnt auf 1.600 Meter Höhe eine wahrhaftige sechstägige "Outdoor-Tour", die jedem von uns einiges an Entbehrungen abverlangen wird. Sieben Träger, ein Koch, ein stellvertr. Führer und ein Führer (Guide) helfen mit, dass das Unternehmen gelingt. Es muss alles mit Muskelkraft nach oben geschleppt werden (Zelte, Proviant, Schlafsäcke, Kleidung etc.), weil es weder irgendwelche Lifte, noch irgend etwas zu kaufen gibt. Uns fasziniert die üppig unberührte Vegetation des tropischen Regenwaldes, wo die Natur noch ihr natürliches Gleichgewicht besitzt. Zwischen 2.800 und 3.000 Meter wird die Vegetation immer spärlicher. Man bewegt sich teils durch Moorlandwald, teils durch Baumheiden und Erikaarten. Weiter oben finden wir verschiedene Senecien (einheimische Proteenarten). Ab 4.500 Meter ziehen sich fast nur noch Flechten um die Lavasteine bis auch diese ab 5.000 Meter dem nackten Lavagestein weichen müssen.
Über das Machame-Camp schrauben wir uns mühsam hinauf bis zum Shira-Camp auf 3.800 Meter und nehmen den beschwerlichen Weg über den Lava-Tower (4.590 m) zum Barranco-Camp. Immer näher und größer taucht er vor uns auf, "der Berg der Berge", ein vor allem in sternenklarer Nacht grandioses Schauspiel, welches unvergessen bleiben wird. Vom Barranco-Camp geht es auf knüppelharter Strecke 14 km bei immer stärker werdendem Wind in 6,5 Stunden über das Karangatal zum Barafu-Camp auf 4.540 Meter Höhe. Jetzt befinden wir uns auf der Südostschulter des Hauptberges, unmittelbar am Gipfelstock des "Kibo". Es beginnt die Endphase der Gipfelbesteigung.
Ich selbst habe Magen- Darm-Probleme, Schlafdefizite, leichtes Fieber und einen geschwollenen rechten Fußballen. Aber krank werden gilt hier oben nicht. Der Weg nach unten ist lang und natürlich wollen wir alle auf den Gipfel. Deshalb reiße ich mich zusammen und denke an den "spirit of Afrika" (an den afrikanischen Geist) der hier heißt: "Hakuna Matata", was soviel bedeutet wie: Alles kein Problem, es regelt sich irgendwie.
Am Samstag, den 22. Januar um 23.30 Uhr blasen wir zum Angriff, 1.350 m hinauf auf das Dach Afrikas. Am Anfang kommen wir gut voran. Ich bin dankbar, dass mein angeschlagener Körper noch so gut mit spielt. Doch der Weg wird immer steiler, der Sturm heftiger und die Temperatur fällt mehr und mehr in den Keller. Der Vollmond macht unsere Stirnlampen fast überflüssig. Ab 5.000 m fällt das Atmen merklich schwerer und die Beine werden müde. Seitherige schöne Erlebnisse verwandeln sich zunehmend in einen Kampf gegen sich selbst und gegen diesen übermächtigen Berg. Weiches, nachgebendes Lavageröll reduziert jeden Schritt auf die halbe Länge. Die Hände sind, trotz zweipaar Handschuhe, eiskalt und zunehmend ohne Gefühl. Ich hebe den Kopf und schaue hinauf. Über mir türmt sich in dunkler Nacht noch immer ein riesiges Felsmassiv auf. Es kommen zunehmend Zweifel. Ob es gelingt. Unser Führer James meint, heute sei es zwar besonders schwer, aber wir wären nach seiner Einschätzung stark genug, nur aufgeben dürften wir nicht.
Solcher Ansporn tut gut und lässt uns weiter an Höhe gewinnen. Inzwischen ist es 3.00 Uhr und wir haben 900 von gut 1.300 Höhenmetern geschafft, knapp 300 Höhenmeter die Stunde. Trinken ist besonders wichtig, weil der Körper unter diesen Belastungen stark austrocknet. Doch es wird Zeit, dass wir bald oben sind, denn meine Trinkvorräte beginnen zu gefrieren. "How far is it" (wie weit noch), zische ich durch meinen schon gefrorenen Schal vor dem Mund hindurch. Noch etwa 200 Meter bis "stella point" (5.748 m), lässt mich James wissen. "Don´t give up" (jetzt nicht aufgeben), schiebt er beschwörend hinter her. Doch immer häufiger müssen wir kurz verweilen, schnappen wir nach Luft und suchen nach neuen Kräften. Jetzt bin ich dankbar für jeden Kilometer der Vorbereitung, jetzt wird aus dem Körper alles abgerufen, was er geben kann. Auch bei Karl-Heinz Nöth und Walter Robl ist das so. Auch sie kämpfen den Kampf gegen die Wand und den inneren Schweinehund.
Plötzlich, für mich schneller als erwartet, ruft James vor mir: "We are at stella point !" (Wir sind am "stella point"). Ich kann es gar nicht so schnell fassen, dass wir schon auf 5.748 Meter sein sollen. Es ist 5.40 Uhr. Wir haben es also in ziemlich genau 6 Stunden bis hier her geschafft. Eine unter diesen Bedingungen gute Zeit, wie James anerkennend feststellt. Bergsteigerisch gilt der Kilimanjaro am "stella point" schon als bezwungen und so mancher kehrt hier um. Von hier aus sind es nur noch relativ flache 148 Höhenmeter bis zum "Uhuru Peak" (Freiheitsspitze), dem höchsten Punkt Afrikas.
Jetzt wird es so langsam hell und ein inneres Glücksgefühl beflügelt uns auf dem letzten Streckenstück. Gegen 6.25 Uhr geht am 23. Januar 2005 bei -12°C am Kilimanjaro die Sonne auf. Ein unbeschreiblicher Moment eines einmaligen Naturschauspieles. Unser Blick geht nach Osten, hinüber zum Mawenzi, dem äußerst schwierig zu besteigenden 5.148 Meter hohen kleinen Bruder des "Kili". Blicken wir nach Westen, so leuchtet uns aus ca. 70 km Entfernung der Mt. Meru entgegen, dieser von hier fast wie ein Hügel wirkende Bergriese, den wir vor 10 Tagen ebenfalls mühsam erklommen haben. Vor uns, tief unten in der Ebene liegt die Halbmillionenstadt Moshi, die nun ebenfalls langsam erwacht und geheimnisvollen Lichterglanz nach hier oben schickt. Zeit und Raum erhalten in dieser Gletscherwelt eine neue Dimension.
"Uhuru Peak", höher geht´s nimmer und natürlich verewigen wir uns an diesem Höhepunkt auf Bildern. Es sind Menschen aus aller Herren Länder, die sich hier oben im Glücksrausch begegnen. Sie alle sind fasziniert von der eisigen Gletscherwelt des größten freistehenden Berges der Erde. Aber es gibt auch viele, denen dieses Glück an diesem Tag versagt bleibt. Beim Abstieg begegnen wir noch weiteren nach oben Strebenden, von denen die meisten den Kampf nicht mehr gewinnen werden. Zu steil ist der Weg und zu beschwerlich sind die Umstände.
Schon um 9.00 Uhr sind wir als einer der ersten wieder im Barafu-Camp auf 4.600 Meter und fallen müde in unsere Zelte. Der Sturm hat unsere Kleidung und Haare mit Lavastaub durchsetzt und so wollen wir nur noch weiter bergab, so schnell wie möglich zurück ins Hotel, um endlich mal wieder duschen zu können. Auf der Mweka-Abstiegsroute machen wir auf 3.000 Meter lediglich einen kurzen Halt, nehmen einige Früchte zu uns und streichen die hier geplante Übernachtung. Obwohl unsere Füße qualmen, steigen wir im traumhaft tropischen Regenwald weiter hinunter. Es umgibt uns eine Pracht und Stille der Natur, wie wir sie leider bei uns nicht mehr finden können. Ein seltener wunderschöner schwarzer Affe mit riesigem weißen Schweif beäugt uns misstrauisch von einem Baumwipfel.
Nach insgesamt achtstündigem Abstieg sind wir am späten Nachmittag wieder am Eingang des Nationalparks angekommen, ausgelaugt bis auf die Knochen. Wir haben an einem Tag über 6.000 (!) Höhen- und Tiefenmeter bewältigt und das in überwiegend sehr dünner Luft. Obwohl wir, inmitten von neugierigen Einheimischen, noch über drei Stunden auf unseren Rücktransport warten müssen, erreichen wir irgendwann am späten Abend unser 100 km entferntes Hotel. Das Unternehmen Kilimanjaro hat uns alles abverlangt, ist aber erfolgreich zu Ende gegangen.
Februar 2005,
Heribert Erbes