Historischer Ortsrundgang Spiesheim
Geburtshaus August Jung
Teilnehmer gegen den Boxeraufstand in China im Jahre 1900
* 4.Okt.1875 in Spiesheim
+ 23.Jan.1934 in Peking
Ende Juni des Jahres 1900 wurden die Brüder Georg, Ludwig und August Jung, als drei von acht Kindern, der Bauersfamilie Johann und Elisabetha Jung aus Spiesheim, wohnhaft in der Schmiedstraße 13, zum Kleemähen (mit der Sense) in die Gemarkung Alzeyer Weg geschickt. Sohn August, damals 25 Jahre alt, hatte zu dieser Zeit Auseinandersetzungen mit seinem Vater, denn er wollte auf dem Gartengrundstück des Vaters, am Käßweg, ein Haus errichten und eine Familie gründen. Dies wurde ihm jedoch verwehrt und so fasste er aus der Unzufriedenheit des Augenblicks einen spontanen abenteuerlichen Entschluss, der sein ganzes Leben grundlegend verändern sollte.
Nach dem Kleemähen ging er weiter nach Alzey und meldete sich bei der Behörde als Freiwilliger zum Hilfstruppeneinsatz nach China. Das Reich der Mitte hatte den damaligen Weltmächten im sog. "Boxeraufstand", mit seinen Geheimbundkämpfern für Recht und Einigkeit, den Krieg erklärt, wurde aber, durch die Besetzung der Hauptstadt Peking durch westliche und japanische Expeditionskorps, in einem Blitzkrieg zur Aufgabe gezwungen.
Der Spiesheimer Sohn August Jung kämpfte an vorderster Front in der Entscheidungsschlacht im Oktober 1900 und hatte "das Glück auf seiner Seite", wie er hinterher feststellte.
Dem jungen, von seiner Heimat enttäuschten Deutschen, imponierte dieser Sieg genauso, wie das rätselhafte und unendlich große Reich der Mitte mit seinen uralten Traditionen. Er fasste den Entschluss, dort sesshaft zu werden und heiratete 1904 eine Chinesin namens Liu.
Er baute eine Milchfarm, mit bis zu 150 Kühen, auf. Eine Seuche vernichtete jedoch schon nach wenigen Jahren die gesamte Herde und es begann erneut die Suche nach einer neuen Existenz.
Es war dies eine schwere Zeit für das Ehepaar Jung, auch weil sich im Laufe der nächsten Jahre vierfacher Nachwuchs einstellte, der ernährt werden wollte. 1906 erblickte Tochter Rosa das Licht der Welt. Es folgten 1908 Sohn Julius, 1910 Sohn Eugen und 1911 Sohn Rudolf. Alle Kinder besuchten die recht teure deutsche Schule in Peking und lernten dort, neben deutsch, auch englisch, französisch und chinesisch in Wort und Schrift. Die Ersparnisse aus der Milchwirtschaft wurden zum Teil auch in die Beteiligung an einer Kohlemine investiert.
Noch vor Ausbruch des ersten Weltkrieges erinnerte sich August Jung erneut seiner heimischen Wurzeln und gründete in Peking die erste deutsche Weinhandlung. Mit seinen weinbaulichen Kenntnissen aus der Jugendzeit pflanzte er selbst Reben an und erzeugte eigenen Wein, der in Peking der 1920er Jahre guten Absatz fand. Für seine Betriebsausstattung ließ er über seinen Bruder zahlreiches Gerät mit dem Schiff von Deutschland nach China transportieren. Unter anderem waren dies: Eine Hollmann-Kelter, ein Seitz-Filter, Pumpen, Schläuche, Fässer, Flaschen und Korken. Auch seinen Kindern hat er diese Kenntnisse weiter gegeben. August Jung wurde zunehmend zum "angesehen Mann" in "feinen Pekinger Kreisen".
Am 23. Januar 1934 starb der Spiesheimer Abenteurer und Freiheitskämpfer August Jung, relativ wohlhabend, eines natürlichen Todes, im Alter von nur 58 Jahren, in Peking. Dort fand er auf dem deutschen Friedhof seine letzte Ruhestätte. Seine alte Heimat hat er, seit seinem spontanen Weggang im Juni des Jahres 1900, nie wieder gesehen, obwohl er stets voller Stolz von ihr erzählte. Drei der vier Kinder von August Jung zog es in späteren Jahren, auf teilweise abenteuerliche Art und Weise, nach Deutschland. Sie haben allesamt interessante Lebensläufe.
Anmerkung: Im Heimatjahrbuch 2001, des Landkreises Alzey-Worms, hat Heribert Erbes die Lebensgeschichte von August Jung und seiner Familie veröffentlicht (Seite 79-81).
Drei Kinder zog es zurück nach Deutschland:
Den vier Kindern von August und Sophie Jung, geb. Liu, (Rosa, Julius, Eugen und Rudolf) wurde die bereits erwähnte gute Ausbildung zu Teil. Allen gemeinsam war ihnen der Wunsch, Deutschland, die Heimat ihrer väterlichen Vorfahren, kennen zu lernen. Sohn Julius ist dies als einzigem nicht gelungen. Er war ein erfolgreicher Architekt in Peking und das inzwischen kommunistische Regime verweigerte ihm ein Leben lang die Ausreise, weil man seine Kenntnisse für die eigenen Staatszwecke benötigte. Er wurde, wie sein Vater auf dem deutschen Friedhof beerdigt. Kinder und Enkelkinder von Julius sind hingegen schon öfter in Deutschland gewesen und versuchen den Kontakt zur Verwandtschaft aufrecht zu erhalten.
Sohn Eugen arbeitete bis 1954 als Verwaltungsangestellter in Peking und hat viele interessante Aufsätze verfasst. Kurz vor der Machtergreifung Mao Tse-tungs gelang ihm, mit seiner japanischen Frau Sunshine und den Kindern Maria und Georg, mit der transsibirischen Eisenbahn die sehr schwierige Ausreise nach Deutschland. Erste Anlaufstation in Deutschland war das Elternhaus seines Vaters in Spiesheim in der Schmiedstraße. Viele der älteren Generation in Spiesheim erinnern sich noch an diesen Besuch.
Er sei stolz auf Deutschland und wolle den Rest seines Lebens für Deutschland arbeiten bekundete der damals 44-jährige Eugen gegenüber der Allgemeinen Zeitung. Die Familie hatte es in Deutschland nicht leicht.
Eugen ging verschiedenen Tätigkeiten in deutschen und amerikanischen Verwaltungen nach und war als Rentner noch Barkeeper im chinesischen Restaurant seiner Schwester in Hildesheim. Er starb 1988 in Hildesheim und fand in einem Urnengrab auf dem Frankfurter a. M. Waldfriedhof seine letzte Ruhestätte. Tochter Maria lebt heute mit ihrer Familie in Waldtrop (NRW). Sohn Georg hat es nach Holland verschlagen, wo die Urahnen der Jungdynastie (De Jong) im 14. Jhdt. Einst beheimatet waren.
Sohn Rudolf schließlich zog es mit der Armee von Chiang-Kai-shek im Jahre 1949 nach Taiwan (Formosa), von wo aus er die nationalchinesischen Interessen gegen das Mao-Regime stets mit großem Engagement verfolgte. In den sechziger Jahren erhielt er mit seiner Familie die ehrenvolle Berufung in das nationalchinesische Konsulat nach Bonn-Bad Godesberg, wo er auch verschiedene Schriften über das Leben von Chian-Kai-shek verfasste. Nach seiner Pensionierung zog es ihn 1975 wieder zurück nach Taiwan, wo er 1984 mit 73 Jahren in Taipeh verstarb. Sein Sohn Eduard wohnt heute mit seiner Familie in Bad Vilbel in Hessen.
Tochter Rosa machte Karriere
Rosa war das älteste Kind und einzige Tochter der Eheleute August und Sophie Jung. Als gelernte sprachenbegabte Schauspielerin zog es sie schon in frühen Jahren nach Deutschland. Bei einer Gastspielaufführung in Spanien emigrierte sie bereits 1936 nach Deutschland und fand in Berlin eine bescheidene Bleibe. Nicht zuletzt durch ihr äußeres Erscheinungsbild fand sie in Berliner Filmkreisen alsbald Beachtung. Unter anderem wirkte sie in den Filmklassikern "Das indische Grabmahl" und "Der Tiger von Eschnapur" in tragenden Rollen mit.
In weiteren Filmrollen konnte man die Halbasiatin auch an der Seite von Theo Lingen auf der Leinwand erleben. Während des zweiten Weltkriegs war sie unter anderem Nachrichtensprecherin für eine chinesische Rundfunkstation. Die Ehe mit einem Bulgaren blieb kinderlos und wurde geschieden. In ihrem letzten Lebensdrittel betrieb Rosa verschiedene chinesische Restaurants in Norddeutschland. Sie starb 1994 im Alter von 88 Jahre in Hildesheim. Ihre Urne wurde im Familiengrab auf dem Frankfurter Walfriedhof beigesetzt.
Anmerkung: Alle vier Kinder von August und Sophie Jung waren sehr musisch veranlagt. Bedingt durch die räumliche Trennung, wurden viele Briefe und auch Literatur untereinander ausgetauscht. So entstanden viele interessante Zeitdokumente aus dem spannenden Leben in China in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Heribert Erbes Sept. 2016/08