Historischer Ortsrundgang Spiesheim
Evangelische Kirche
1898 - Evang. Kirche - Postkarte coloriert
Die erste Erwähnung einer "Kirche zu Spiesheim" stammt aus dem Jahr 1246 als Papst Innozenz IV. die Abgabe des Patronatrechts an das Zisterzienser Nonnenkloster Sion bei Mauchenheim genehmigte. Damals gab es nur den katholischen Glauben und die katholische Kirche, die in Spiesheim bis heute dem heiligen Erzmärtyrer Stephanus geweiht ist.
Im Jahr 1556 wurde durch den Pfalzgrafen Ottheinrich im Oberamt Alzey die Reformation eingeführt. Der in 1555 geschlossene "Augsburger Religionsfrieden", gestand dem Fürsten das Recht zu, die Religion seiner Untertanen zu bestimmen. "cuius regio, eius religio". Die Mehrzahl der Spiesheimer fügte sich diesem Grundsatz und so fand fortan in der bisher katholischen Kirche ausschließlich reformierter (heutzutage allgemein = evangelisch) Gottesdienst nach der Lehre Calvins statt. Erst 1698 mussten die Reformierten mit Edikt (öffentliche Bekanntmachung) des nunmehr katholischen Pfalzgrafen Johann Wilhelm Ignatius ihr Gotteshaus wieder den Katholiken öffnen, so dass ein Simultaneum entstand, das bald beide Seiten gegeneinander aufbrachte. Die gemeinsame Nutzung dauerte dennoch bis ins Jahr 1705 als bei der "Kurpfälzischen Kirchenteilung" die bisherige Simultankirche wieder den Katholiken zur alleinigen Nutzung zugesprochen wurde.
Die reformierte (evangelische) Gemeinde war nun gezwungen eine eigene Kirche zu errichten. Sie kaufte gegenüber der katholischen Kirche und dem angrenzenden Liding eine alte Scheune und richtete diese als Gotteshaus ein. Wegen der zahlreichen Gemeindemitglieder wurde diese Räumlichkeit nach einigen Jahren schon zu klein und der Zerfall nagte zusehends an dem alten Gebäude. Um eine neue und geräumigere Kirche bauen zu können erwarb die ev. Gemeinde 1755 ein Grundstück "Auf dem Backesgarten" wo die heutige Kirche steht.
Weiterhin sollte ein neues Schulhaus und die Wohnung des Schulmeisters gleich neben der neuen Kirche errichtet werden. Soweit die Ideen und Pläne der damaligen Gemeinde, die allerdings aus akutem Geldmangel nicht gleich in die Tat umgesetzt werden konnten. Über 30 Jahre hinweg wurden Kollekten gesammelt und im Jahr 1788 noch einmal mit Genehmigung der Kirchenadministration bis in die Pfalz hinein um Bruderhilfe gebeten um endlich diese Kirche bauen zu können. Die Pläne waren fertig und im Juni 1788 erhielt der Maurermeister Heinrich aus Heimersheim den Auftrag die Fundamente bis August 1789 zu erstellen, was auch eingehalten werden konnte. Die Arbeiten mussten allerdings eingestellt werden wegen wiederum fehlender finanzieller Mittel für die gegenwärtig als >unverhältnismäßg großen Bau< bezeichnete Kirche.
Hinzu kam die unsichere Weltlage. In Frankreich hatte die Revolution begonnen, die auch dazu führte, dass unsere Heimat französisch wurde und der Stellenwert der Religion stark gesunken war. Zwei darauf folgende Kriege und schließlich die Eingliederung Rheinhessens in das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, sind einige der Gründe, die eine Weiterführung des Baus über 5 Jahrzehnte verhinderten. Zwischenzeitlich musste 1800 die alte Scheunenkirche am Liding wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Die Stumm-Orgel wurde in der evangelischen Schule aufgestellt und die Glocke aus 1728 wurde im Turm der katholischen Kirche aufgehängt. Weil die Spiesheimer Reformierten nun ohne Gotteshaus waren und verwaltungsmäßig zur Pfarrstelle Armsheim gehörten, mussten sie fortan dort den Gottesdienst besuchen. 1822 vereinigten sich Reformierte und Lutheraner zur rheinhessischen evangelischen Kirche und Spiesheim wurde 1824 zum Filialort der Pfarrei Ensheim. Allmählich kehrten wieder ruhigere Zeiten ein.
Nach vielen Vorstellungen bei der Kirchenverwaltung in Darmstadt einigte man sich 1843 für den Kirchenneubau auf einen Planentwurf des damals weit bekannten Architekten und "Hofbaudirektor" Georg Moller, nach dessen Plänen in dieser Zeitepoche 16 Landkirchen im südhessischen Raum entstanden.
Im Frühjahr 1844 wurde auf den nunmehr bereits 55 Jahre alten Fundamenten die neue Kirche gebaut.
Die Bauleitung oblag dem Großherzoglichen Kreisbaumeister Rhumbler von Alzey und die Arbeiten wurden größtenteils von Handwerkern der näheren Umgebung ausgeführt. Gleichzeitig wurde die alte Scheunenkirche am Liding abgerissen und anschließend das Grundstück sowie noch brauchbar Holzteile versteigert. Eine beträchtliche Menge an Steinen konnte im Kirchenneubau wieder verwendet werden, aber die Masse der Mauersteine wurde aus den Steinbrüchen in Bornheim und Flonheim von den Gemeindemitgliedern herangeschafft.
Es entstand eine schöne, helle Kirche im byzantinischen Stil. Auf rechteckigem Grundriss erhebt sich ein Saal mit moderater Dachneigung und 3-seitigen Emporen an den Längswänden und der Richtung Westen gelegenen Eingangsfront. Diese enthält ein Rosettenfenster aus reich verziertem Gusseisen über dem Portal.
Diese Kirche hat keinen Glockenturm, sondern nur einen Dachreiter, der die 2 Glocken trägt. Rechts vom Eingang mit einem kleinen Windfang führt eine Treppe zu den Emporen, welche von schlanken und runden Säulen im byzantinischen Stil getragen werden. Dies ergibt einen mittleren Innenraum mit statisch montierten Bankreihen und 2 seitlich gelegen Räume, die je nach Anforderung mit Sitzgelegenheiten versehen werden können. Die Seitenwände sind durch je fünf Fenster gegliedert. Der Altar in der nach Osten gerichteten Schmalseite steht frei vor der an der Wand befestigten Kanzel und der darüber thronenden Orgel und darüber wölbt sich ein großer Bogen. Die Orgelempore wird mit einem großen runden Rosettenfenster aus Gusseisen belichtet. Nebenräume, Sakristei und Küsterraum, sind als rückwärtige Räume vom Hauptschiff abgeteilt. Zu ihnen führen optisch zwei symmetrisch angeordnete Tür- und Fensterkombinationen im Rundbogenstil. Der Raum links hinter dem Altar ist die Sakristei und hier ist auch die einzig nutzbare Tür enthalten. Dort führen Treppen zu Kanzel und Orgelempore hinauf sowie zu einem rückwärtigen Ausgang.
Nach gründlicher Überholung wurde die aus der einstigen Kirche gelagerte alte und wertvolle Stumm-Orgel wieder in Dienst genommen und die zwischenzeitlich in der katholischen Kirche genutzte Glocke abgebaut und im Glockenturm (Dachreiter) eingesetzt, zusätzlich eine neue größere Glocke mit Hilfe des damaligen Gustav-Adolf-Vereins angeschafft. Nach 22 Monaten Bauzeit wurde am 6. Januar 1846 die neue Kirche ihrer Bestimmung übergeben und am 4. Mai 1846 durch den Superintendenten Nonnweiler in einem festlichen Gottesdienst unter Mitwirkung des ersten Spiesheimer Singvereins eingeweiht.
Die erste umfangreiche Renovierung der Kirche wurde 1911 bis 1912 ausgeführt. Unter anderem musste eine neue Decke eingezogen werden.
In den beiden Weltkriegen mussten auf staatliche Anweisung in ganz Deutschland viele Kirchengemeinden die Glocken und die zinnenen Orgelpfeifen demontieren und dem Staat zur Verfügung stellen um kriegswichtiges Material (Bomben, Granaten, Gewehre etc.) herzustellen. In Spiesheim waren davon sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche mit je einer Glocke und allen Zinnpfeifen betroffen.
9.März 1942 - Abholung der Kirchenglocken in Spiesheim
Nach den Kriegen: Durch großzügige Spenden des von Spiesheim nach New York ausgewanderten Ehepaares Wilhelm Jung und Frau Anna geb. Dexheimer konnten nach dem 1. Weltkrieg bereits 1921/1922 Glocke und Prospektpfeifen neu beschafft werden. Das gespendete Geld reichte überdies noch für einen gepflasterten Weg von der Straße bis zur Kirchentür. Nach dem 2. Weltkrieg stifteten Jakob und Katharina Margarethe Diefenthäler ebenfalls eine neue Glocke, welche die Inschrift "Glaubet ihr nicht, so bleibt ihr nicht" trägt und am 26. Juli 1959 geweiht wurde.
26.Juli 1959 - Einweihung der neuen Glocke
2012 - Ev.Posaunenchor Spiesheim
Seit 1962 gibt es in der ev. Kirchengemeinde einen Posaunenchor, der gemäß dem allgemeinen Motto aller Posaunenchöre, "Gott loben ist unser Amt", sowohl die Gottesdienste der wichtigen Kirchenfeste musikalisch mitgestaltet als auch diakonischen Dienst in musikalischer Form in den umliegenden Alten- und Pflegeheimen sowie den Alzeyer Krankenhäusern wahrnimmt. Dem Leitgedanken "Zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen" wird gerne nachgegangen. Falls gewünscht und terminlich oder besetzungsmäßig möglich, zu örtlichen Ereignissen wie Kerb, Vereinsveranstaltungen, Geburtstagen und Jubiläen von alten Mitbürgern unabhängig von Konfession und Weltanschauung ein musikalischer Beitrag geleistet. Als Teil der Kirchengemeinde veranstaltet der Posaunenchor jährlich im Wechsel Advents- und Frühlingskonzerte oder ist beteiligt bei der Vorbereitung von Auftritten verschiedenster Musikensembles in der Kirche. Der Erlös wurde bisher immer an soziale Einrichtungen gespendet.
Die zweite große Innenrenovierung 1964 bis 1967 gab der Kirche ihr heutiges Aussehen. Streng mit den Auflagen des Denkmalschutzes konform wurde das ursprüngliche Aussehen weitgehend erhalten. Eine elektrische Heizung, deren Rohre unter den Fußleisten der Bankreihen verliefen, wurde installiert.
Die fortschreitende Verwitterung der aus >weichem< Flonheimer Sandstein bestehenden Außenwände der Kirche machten 1988 bis 1989 eine umfangreiche und aufwändige Sanierung notwendig.
In einer alten unbeachteten Kiste fand man 2005 im Gebälk der Kirche 2 Abend-mahlskannen aus 1822, dem Jahr des Zusammenschlusses der Reformierten und Lutheraner zur Rheinhessischen Kirche, alte Bibeln aus den Jahren 1703, 1894 und 1911, Gesangbücher von 1916 sowie ein Kirchenbuch aus dem Jahr 1858. Nach einer gründlichen Restaurierung wurden diese in einer speziell angefertigten Vitrine am Eingang der Kirche zur Betrachtung ausgestellt.
Im Jahr 2008 wurde die mittlerweile auch schon wieder betagte Elektroheizung erneuert und mit einer computergesteuerten Regelung versehen. Die Heizrohre verlaufen jetzt gittergeschützt unterhalb der Sitzflächen der Bänke. Während der Bauzeit konnten die Gottesdienste freundlicherweise in der katholischen Kirche abgehalten werden.
Spiesheim gehörte bereits ab 1688 als Filialgemeinde der Pfarrei Armsheim an und ab 1824 der Pfarrei Ensheim. Seit 01.01.1999 ist die evangelische Kirchengemeinde Spiesheim Mitglied im Pfarrverbund der Gemeinden Bechtolsheim, Biebelnheim, Ensheim und Spiesheim, gerne kurz BBES genannt. Gemeinsames Ziel der vier Gemeinden ist es, immer wieder neue Akzente und Anreize für ein lebendiges Miteinander zu schaffen. Dabei erfahren sie leidenschaftliche Unterstützung und Anleitung von Pfarrer Markus Krieger. So wurde der Gemeindebrief "eBBES" 2015 mit einem Preis ausgezeichnet. Auch im Internet sind die vier Gemeinden unter www.e-bbes.de vertreten.
Blick auf das Zentrum und den alten Teil Spiesheim mit der Ev. Kirche
Text 11: Sigmund Jung
Bilder: Erich Dexheimer - Ebermeyer - Georg Wenicker -Wolfgang Steinmetz
Oktober 2016